Strafverfolgung der männlichen Homosexuellen im „liberalen Musterland“ Baden

Strafverfolgung der männlichen Homosexuellen im „liberalen Musterland“ Baden 1

Beitrag von Dr. Frédéric Stroh anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2019

Wozu dient eine weitere regionale Untersuchung der Verfolgung Homosexueller? Handelte es sich dabei nicht um ein nationales Phänomen? Lokale Fallstudien machen uns die Vergangenheit selbstverständlich fassbarer. Dadurch können wir ihre menschliche Dimension ermessen. Aber wären auch tatsächlich grundsätzliche lokale Besonderheiten aufzufinden? Wir können uns leicht vorstellen, dass Leben und Verfolgung der Homosexuellen zwischen Stadt und Land verschiedene Gestalt annahm. Aber wie sieht es mit den Unterschieden zwischen den deutschen Ländern aus? Wich die Lebenssituation eines bayerischen Homosexuellen von der eines preußischen grundsätzlich ab? Hatten mehr oder weniger homophobe regionale Rechts- und Kulturtraditionen einen bedeutenden Einfluss auf die Strafverfolgung, trotz der Vereinheitlichung der Strafgesetzgebung im Kaiserreich und der Zentralisierungspolitik des „Dritten Reiches“? Das Land Baden bietet sich besonders dafür an, dieser Frage nachzugehen, wird es doch seit Anfang des 19. Jh. als „liberales Musterland“ bezeichnet.

Kein badischer Liberalismus gegenüber Homosexualität (1803-1933)

Zwar sticht Baden innerhalb des „Deutschen Bundes“ wegen des politischen Liberalismus, der Begrenzung des Einflusses der katholischen Kirche auf das öffentliche Leben und durch die zunehmende Unabhängigkeit der Justiz hervor, aber dies ging nicht einher mit sittlicher Liberalität. Im Gegenteil, das badische Strafedikt von 1803, das badische Strafgesetzbuch von 1845 und die Rechtsprechung waren im Fall der Sittlichkeit nicht von der liberalen französischen Rechtsphilosophie beeinflusst. Gegenüber Homosexuellen wurde damit eines der schärfsten Rechtssysteme des gesamten deutschen Raumes seiner Zeit errichtet. Im Vergleich dazu stellte die Einführung des § 175 RStGB im Jahr 1872 eine Milderung dar. Darüber hinaus vollzogen die badische Polizei und Justiz eine strikte Strafverfolgung. Die Verurteilungen wegen „widernatürlicher Unzucht“ stiegen in Baden im Lauf des 19. Jh. kontinuierlich an. Ihr Anteil pro Einwohner war im Kaiserreich und in der Weimarer Republik ungefähr doppelt so hoch wie der nationale Durchschnitt. Die verhängten Strafen waren allerdings in Baden und im ganzen Reich ähnlich.

Im Gegensatz zur manchmal überlieferten Vorstellung, war Baden vor 1933 kein Raum des Liberalismus für Homosexuelle. Baden war einer der repressivsten deutschen Staaten, in jedem Fall repressiver als Preußen. Politischer Liberalismus und sittliche Liberalität waren nicht miteinander verknüpft. Sie waren vielleicht sogar gegensätzlich, weil die bürgerliche Gesellschaft abweichendes Sexualverhalten als Gefahr ansah und beförderte, seit sie an der politischen Macht teilhatte, Staatseingriffe dagegen.

Die badische Strafverfolgung der Homosexualität in der NS-Zeit (1933-1945)

Die Radikalisierung der Verfolgung durch die Nationalsozialisten konnte in keiner Weise durch eine regionale Toleranztradition gegenüber Homosexuellen in Baden abgeschwächt werden, da diese nie existiert hatte. Hier und anderswo setzen die Polizei und die Justiz, teilweise mit Hilfe der Bevölkerung und der ärztlichen Gutachter, die neue Verfolgungspolitik um. Die Anzahl der Verurteilungen explodierte ab 1935. Geschätzt 1 680 Männern wurden durch badische Gerichte gemäß den §§ 175 bzw. 175a RStGB während der NS-Zeit verurteilt. Die verhängten Strafen verschärfen sich und ein Teil der Homosexuellen wurden ins KZ verschleppt.

Karte des „Gau Oberrhein“ von 1944

Allerdings war der Anstieg der Verurteilungen in Baden weniger stark und ging früher zurück als auf nationaler Ebene, da es keine so massiven Polizeieinsätze wie in den Großstädten gab und da die „schwule Szene“ nicht so dicht war. Das „Dritte Reich“ hat die Strafverfolgung der Homosexualität in Baden erheblich intensiviert. Dennoch unterschied sich das badische Verfolgungsausmaß nicht mehr so stark vom Reichsdurchschnitt, es lag nun sogar leicht darunter. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass in Baden, wie im ganzen Reich, die verhängten Strafen angesichts der möglichen neuen Strafmaße durchschnittlich eher gemäßigt waren. Die Staatsanwälte und Richter haben zwar die Verschärfung der Verfolgung mitgetragen, aber sie haben gleichzeitig die Auswirkungen der radikalen NS-Verfolgungspolitik gegenüber den Homosexuellen insgesamt abgeschwächt.

Die Ausbreitung der badischen Strafverfolgung ins Elsass (1940-1944)

Ab Sommer 1940 wurden elsässische Homosexuelle durch die deutsche Polizei in Listen geführt, in das „innere Frankreich“ vertrieben bzw. in das „Erziehungslager Vorbrück“ verschleppt. Der badische Gauleiter Robert Wagner hat im Anschluss das deutsche Strafgesetzbuch im annektierten Elsass eingeführt, was die bis dahin zugelassenen homosexuellen Handlungen unter Strafe stellte. Die elsässische Justiz wurde dem Oberlandesgerichtspräsidenten Heinrich Reinle und dem Generalstaatsanwalt Wilhelm Frey aus Karlsruhe überlassen. Viele deutsche Staatsanwälte und Richter sowie ärztliche Gutachter, vor allem aus Baden, haben die vertriebenen französischen Beamten ersetzt. Daher haben die elsässischen Gerichte, mittels deutscher Richter aber auch mittels im Amt verbliebener elsässischer Richter, angefangen, Homosexualität zu bestrafen. Die elsässische Strafverfolgung unterschied sich aber leicht von der badischen. Sie kam ziemlich spät auf, da sie erst ab 1942 auf breiter Basis anfing. Sie war schärfer, so entsprachen 60% der bekannten verhängten Strafen des Landgerichts Straßburg einer Zuchthausstrafe, gegenüber lediglich 18% beim Landgericht Karlsruhe. Die Richter im Elsass, Deutsche wie Elsässer, wandten die Paragraphen 175 und 175a RStGB wortgetreu an, während die Richter in Baden flexibler waren und oft mildernde Umständen mit einbezogen. Dafür war die Verfolgung im Elsass aber viel beschränkter. Während sie in Baden über die gesamte Region bis hin zu kleinen Dörfern im Schwarzwald vollzogen wurde, blieb sie im Elsass vornehmlich auf die größeren Städte begrenzt. Darüber hinaus betraf die Verfolgung in Baden die Unterschichten ebenso wie die Mittelschichten und einige wenige Mitglieder der oberen Schichten, während sie sich im Elsass auf die Unterschichten konzentrierte.

Baden und Elsass teilen also eine gemeinsame Geschichte der NS-Strafverfolgung der Homosexuellen, selbst wenn sie nicht völlig gleich auf beiden Seiten des Rheins war. Von einigen elsässisch-badischen Paaren wurde sie sogar gemeinsam durchlebt, wie beispielsweise Josef und Eugène, die 1942 in Straßburg verhaftet wurden. Eine gemeinsame Erinnerungsarbeit wäre also für die Zukunft zu wünschen.

Dieser Beitrag beruht auf der Doktorarbeit des Verfassers, die am 26.10.2018 an der Universität Straßburg unter dem Titel „Justiz und Homosexualität im Nationalsozialismus: eine vergleichende Studie zu Baden und Elsass“ verteidigt wurde. Alle Ausführungen in diesem Text beziehen sich allein auf die männliche Homosexualität.

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