Nina Reusch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Public History am Historischen Institut der Universität Stuttgart.

All posts by Nina Reusch

Grußwort des Ministers

Bild des Ministers für Soziales und Integration Baden-Württemberg Manne Lucha

Liebe Besucher_innen,
liebe Zeitzeug_innen,

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Der Minister für Soziales und Integration Baden-Württemberg Manne Lucha

auch im Südwesten Deutschlands wurden über einen langen Zeitraum hinweg viele Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität gesellschaftlich ausgegrenzt, kriminalisiert, verfolgt und sogar getötet. Über diese oft auch im Namen des Staates begangenen Taten wurde leider viel zu lange geschwiegen.

Mit dem Forschungsprojekt „LSBTTIQ in Baden und Württemberg – Lebenswelten, Repression und Verfolgung im Nationalsozialismus und der Bundesrepublik Deutschland“ macht die Landesregierung von Baden-Württemberg auf das begangene Unrecht aufmerksam und setzt ein klares Zeichen gegen Homo- und Transphobie in unserer Gesellschaft.

Auf diesem Portal können Sie sich über die Unterdrückung und Verfolgung von LSBTTIQ-Menschen informieren. Wenn Sie persönlich betroffen sind, würden wir uns freuen, wenn Sie sich an unserem Projekt beteiligen. Nehmen Sie Kontakt auf und berichten Sie uns von Ihren persönlichen Erfahrungen. Teilen Sie Ihre Geschichte mit der Öffentlichkeit, damit dieses Unrecht nie wieder in Vergessenheit gerät.

Ihr
Manne Lucha MdL
Minister für Soziales und Integration Baden-Württemberg

Uracher Erklärung zur Rehabilitierung von verfolgten homosexuellen Männern

Zum Abschluss der Tagung „Späte Aufarbeitung“ in Bad Urach stellten Prof. Dr. Michael Schwartz und Dr. Norman Domeier, Fachbeiräte der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die „Uracher Erklärung: Rehabilitierung und Entschädigung der nach dem § 175 und analoger Strafrechtsbestimmungen in Deutschland zwischen 1949 und 1994 verfolgten homosexuellen Menschen“ vor. Die Erklärung war zuvor einstimmig vom Fachbeirat der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld angenommen worden. Read More

Tagungsbericht: Späte Aufarbeitung. Lebenswelten und Verfolgung von LSBTTIQ-Menschen im deutschen Südwesten

Unter dem Titel „Späte Aufarbeitung. Lebenswelten und Verfolgung von LSBTTIQ-Menschen im deutschen Südwesten“ kamen Ende Juni 2016 in Bad Urach an der Schwäbischen Alb Geschichtsaktivist_innen, Historiker_innen, Pädagog_innen und Vertreter_innen aus Politik und Verwaltung zusammen, um den Stand der Aufarbeitung zu diskutieren, aktuelle Projekte vorzustellen und zukünftige Richtungen von historischer Forschung und Vermittlung zu entwickeln. Read More

Geschichte machen: Queere Lesben – lesbische Queers? Eine Veranstaltungsreihe zu queer-lesbischer Geschichte

2.11. 2016 um 20.00 Uhr
Film im Clubhaus, Wilhelmstraße 30, Tübingen in Zusammenarbeit mit GleichFilm

8.11. 2016 um 19.00 Uhr
Workshop im BAF, Rümelinstraße 2, Tübingen
Im Workshop wollen wir gemeinsam besprechen, was wir unter „queer“, „lesbisch“ und „Geschichte machen“ verstehen. Anmeldung bis 4. November unter info@baf-tübingen.de

14.11. 2016 um 19.00 Uhr
Podiumsdiskussion im Ribingurumu, Mühlstraße 20, Tübingen
Wir diskutieren mit Aktivist_innen, wie wir queere und lesbische Geschichte schreiben, erforschen und machen.

Alle Veranstaltungen sind kostenlos und Kooperationsveranstaltungen des Projekts „LSBTTIQ in Baden und Württemberg“ und des „Bildungszentrum und Archiv zur Frauengeschichte Baden-Württembergs“ (BAF e.V.).

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Baden, Württemberg und Hohenzollern

Föderale Traditionen

Das Bundesland Baden-Württemberg gibt es erst seit dem Jahr 1952. Vorläufer des heutigen Baden-Württemberg waren drei Staaten: Württemberg, Baden und Hohenzollern (ein preußischer Regierungsbezirk außerhalb der preußischen Kernlande).

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Karte Badens von 1933

Die Bundesländer, die wir heute kennen, entstanden aus einer föderalen Tradition heraus. Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein gab es kein „Deutschland“, zumindest nicht als einheitlichen Staat. Stattdessen existierte eine Vielzahl an Monarchien und Fürstentümern, die politisch unabhängig waren. Das 1871 gegründete Wilhelminische Kaiserreich fasste viele (nicht alle) dieser mitteleuropäischen Staaten zu einem deutschen Nationalstaat zusammen. Die Regierung blieb jedoch föderal organisiert und viele politische Strukturen und Entscheidungsprozesse verblieben in Verantwortung der einzelnen Bundesstaaten. Diese Tradition zog sich auch durch die Weimarer Republik und man erkennt sie im föderalen System der Bundesrepublik wieder.

Die Verwaltung der Länder in der NS-Zeit

Die nationalsozialistische Regierung zentralisierte im Zuge der Gleichschaltung die ehemals föderale Verwaltung. Die Gebiete Württemberg, Hohenzollern und Baden (das von 1940-45 auch das besetzte Elsass umfasste) waren seit 1934 unmittelbar der Reichsregierung unterstellte Verwaltungsbezirke.

Die drei Länder waren während der NS-Zeit nicht mehr so selbständig wie zuvor. Doch blieben die praktische Umsetzung der Verwaltung, die Polizei und die Gerichte – und damit auch die Verfolgung und Repression von LSBTTIQ – in großen Teilen Aufgabe der Kommunen und Länder. So geschah die Umsetzung der nationalsozialistischen Herrschaft trotz der Gleichschaltung zu beträchtlichen Teilen auf Länderebene.

Neuordnung der Länder in der Nachkriegszeit und der Bundesrepublik

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Geognostische Karte Württembergs und Badens von 1860

Nach Ende der NS-Herrschaft gliederten die Alliierten die südwestdeutsche Region in die Länder (Süd-)Baden, Württemberg-Hohenzollern (beide französische Besatzungszone) und Württemberg-Baden (US-amerikanische Besatzungszone). Der Staat Preußen wurde 1947 aufgelöst, damit verlor auch Hohenzollern endgültig den Status als eigenständiges Gebiet. Daher beziehen sich Verweise auf Hohenzollern hier immer nur auf die NS-Zeit, nicht mehr auf die Bundesrepublik. 1952 wurden (Süd-)Baden, Württemberg-Hohenzollern und Württemberg-Baden auf Grundlage eines Volksentscheids zum Bundesland Baden-Württemberg zusammengefasst, das bis heute besteht. In der föderal strukturierten Bundesrepublik Deutschland erhielten die einzelnen Bundesländer ihre politische Teilsouveränität zurück.

Ein Blick über die Grenzen: Die Schweiz und Frankreich

Die regionalhistorische Forschung ermöglicht uns einen Blick über nationalstaatliche Grenzen hinaus. Gerade die Grenzregion Baden stand in vielfältigem Austausch mit den Nachbarländern Schweiz und Frankreich.

Die Schweiz spielt für die südwestdeutsche Homosexualitätengeschichte im 20. Jahrhundert eine wichtige Rolle. In der Schweiz war die Rechtslage eine andere als in Deutschland: Seit 1942 waren homosexuelle Kontakte hier legal. Dies machte Schweizer Städte wie Basel oder Zürich zu beliebten subkulturellen Anlaufpunkten auch für deutsche Homosexuelle. Die Schweizer Homosexuellen-Organisation „Der Kreis“ hatte auch deutsche Mitglieder und stand in Austausch mit deutschen Verbänden (in Baden-Württemberg vor allem mit der „Kameradschaft die runde“), und die von der Organisation herausgegebene gleichnamige Zeitschrift war auch in Baden, Württemberg und Hohenzollern verbreitet. Diese Kontakte über die Grenze hinweg ermöglichten einigen verfolgten Homosexuellen die illegale Einreise aus Deutschland in die Schweiz.

Frankreich ist vor allem über das Elsass eng mit der badischen Geschichte verbunden. Die beiden Regionen standen schon immer in engem Austausch. 1940 wurde das Elsass von den Deutschen besetzt und der badischen Verwaltung unterstellt. Die Verfolgung von LSBTTIQ wurde von 1940-1945 also auch auf das Elsass ausgedehnt. In den Vogesen bauten die Nationalsozialisten das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof, in dem auch homosexuelle Männer aus den Regionen Baden, Hohenzollern, Württemberg eingesperrt und ermordet wurden.

Weiterlesen:

Baur, Joachim (2002): Landesgeschichten. Der deutsche Südwesten von 1790 bis heute ; das Buch zur Dauerausstellung im Haus der Geschichte Baden Württemberg. Stuttgart: Haus der Geschichte Baden-Württemberg.

Schnabel, Thomas (2000): Geschichte von Baden und Württemberg 1900 – 1952. 1. Aufl. Stuttgart [u.a.]: Kohlhammer.

Weber, Reinhold (Hg.) (2006): Baden-Württemberg. Gesellschaft, Geschichte, Politik. Stuttgart: Kohlhammer (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs, Bd. 34).