Geschlechterdiversität in Baden-Württemberg in den letzten 100 Jahren?
Öffentlicher Online-Vortrag von Dr. Julia Noah Munier und Karl-Heinz Steinle
Universität Stuttgart, Montag, 13. Januar 2025, 14:00 h – 15:30 h
Organisiert von uniqUS – Stabstelle für Inklusive Universitätskultur der Universität Stuttgart im Rahmen der Ringveranstaltung „Gender und Diversity in Sprache, Gesellschaft, Forschung und Praxis“.
Ansprechperson: Dr. Annika Thiem, Koordinatorin Zertifikat „Gender und Diversity: Vielfalt in Sprache, Gesellschaft, Forschung und Praxis“, diversity-zertifikat@uni-stuttgart.de
Die Veranstaltung steht allen Interessierten offen. Sie findet per Webex statt. Bitte melden Sie sich per E-Mail (diversity-zertifikat@uni-stuttgart.de) zum Online-Vortrag an. Sie erhalten anschließend den Link zur Veranstaltung. Vielen Dank!
Die Ringveranstaltung „Gender und Diversity in Sprache, Gesellschaft, Forschung und Praxis“ wird als Teil des Zertifikats „Gender und Diversity: Vielfalt in Sprache, Gesellschaft, Forschung und Praxis“ von uniqUS – der Stabstelle für Inklusive Universitätskultur der Universität Stuttgart angeboten. Im Rahmen der Veranstaltung werden Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Forschungsdisziplinen eingeladen, um ihre Forschung in Bezug auf Gender und Diversity (oder Teilaspekte hiervon) vorzustellen und zu diskutieren. Dadurch soll ein Einblick in verschiedene Perspektiven, Herangehensweisen, Fragestellungen, etc. ermöglicht und der Diskurs zu Gender und Diversity bereichert werden.
Toni Simon, Fotocollage „Mein Leben im Bild“, zusammengestellt von Toni Simon zu ihrem*seinem 70. Geburtstag, Kornwestheim 1957, Schwules Museum Berlin, Sammlung „Kameradschaft die runde“
Dr. Julia Noah Munier und Karl-Heinz Steinle arbeiten im Forschungsprojekt „Lebenswelten, Repression und Verfolgung von LSBTTIQ* in Baden und Württemberg im Nationalsozialismus und der Bundesrepublik“. Angesiedelt ist es am Historischen Institut, Abt. Neuere Geschichte der Universität Stuttgart (Projektleitung: Prof. Dr. Wolfram Pyta).
Der lange Titel des Forschungsvorhabens soll signalisieren, dass alle sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten interessieren – also alle nicht-heteronormativen Lebensentwürfe und Lebenswelten. Und das auf Landesebene, auch jenseits der großen Städte Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe oder Freiburg. Auf der Projekt-Webseite sind dazu Interviews zu finden, Blog-Beiträge und aktuelle Hinweise.
Das seit 2016 laufende Forschungsprojekt hat verschiedene Module. In den letzten Jahren standen Lebenswelten von schwulen und bisexuellen Männern, die Wirkungsgeschichte des Homosexuellenparagrafen § 175 und die trotzdem existierende Ausgehkultur auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württembergs im Fokus. 2021 erschien Muniers Studie „Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg“. Gerade abgeschlossen wurde die Studie zum Forschungsmodul II, bei dem die Verfolgung und Repression homo- und bisexueller Männer in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern im Fokus standen Die umfangreiche Studie konzentriert sich sowohl auf polizeiliche und juristische Verfolgungspraktiken – dazu gehört auch die Analyse des Sprechens zum § 175 StGB vor Gericht, sowie um medizinisch-psychiatrische Praktiken im Umgang mit mann-männlicher Homosexualität, wie z.B: Konversionstherapien oder die Frage der sogenannten Kastration. Die sich auf die junge Bundesrepublik im deutschen Südwesten konzentrierende Studie erscheint 2025 im Verlag transcript.
Das Forschungsmodul III befasst sich nun mit Lebenswelten von Trans* und Inter*Personen und solchen, die sich als Non-Binär bezeichnen oder von anderen heute so bezeichnet werden. Verwendet werden auch Begriffe wie transgeschlechtlich und intergeschlechtlich oder geschlechterdivers, womit deutlich gemacht wird, dass es in diesem Forschungsmodul um diverse Ausprägungen von Geschlecht und Geschlechtsidentitäten geht. Es hat den Titel „100 Jahre geschlechterdivers in Baden-Württemberg?! Lebenswelten und Verfolgungsschicksale von transgender, trans- und intersexuellen Menschen im deutschen Südwesten von 1920 bis 2020“, startete im Januar 2024, wird bis Dezember 2026 laufen und erneut mit einer umfangreichen Studie abgeschlossen werden.
Es ist deutschlandweit das erste universitäre Forschungsprojekt, das sich mit der Geschichte von trans- und intergeschlechtlichen Menschen in einem Bundesland befasst. Es betritt insofern auch Neuland, was Forschungsfragen, -ansätze und -methoden betrifft. Denn: obwohl sich die mittlerweile oft genutzte Abkürzung TIN* schön griffig anhört, bestehen zwischen trans* und inter* und non-binär große Unterschiede. Das hat auch damit zu tun, wie sich Menschen selbst definieren und bezeichnen und auch mit der Tatsache, dass sich diese Selbstzuschreibungen im Laufe eines Lebens ändern können. Und wie zu anderen geschlechtlichen Identitäten auch, gibt es nur wenige Selbstaussagen, Ego-Dokumente oder gar Interviews möglicher Zeitzeug*innen.
In ihrem Vortrag stellen Julia Noah Munier und Karl-Heinz Steinle einzelne Themenfelder des neuen Forschungsmoduls vor und diskutieren anhand von Biografien, Lebenswegen und Schicksalen mit Baden-Württemberg-Bezug wie Toni Simon (1887-1979) oder Marianne (1966-2018) methodische Forschungsansätze und -fragen.