Staaten im Südwesten
Das Bundesland Baden-Württemberg gibt es erst seit dem Jahr 1952. Historische Vorläufer waren drei Staaten: Württemberg, Baden und Hohenzollern (ein preußischer Regierungsbezirk außerhalb der preußischen Kernlande).
Die Bundesländer, die wir heute kennen, gehen auf eine Tradition kleinerer Staaten im deutschsprachigen Raum zurück. Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein gab es kein „Deutschland“, zumindest nicht als einheitlichen Staat. Stattdessen existierte eine Vielzahl an Monarchien und Fürstentümern, die politisch unabhängig und nur locker verbunden waren. Das 1871 gegründete Wilhelminische Kaiserreich fasste viele (nicht alle) dieser mitteleuropäischen Staaten zu einem deutschen Nationalstaat zusammen. Die Regierung blieb jedoch föderal organisiert, und viele politische Strukturen und Entscheidungsprozesse verblieben in Verantwortung der einzelnen Bundesstaaten. Diese Tradition zog sich auch durch die Weimarer Republik, und das föderale System der Bundesrepublik knüpfte bewusst daran an.
Die Verwaltung der Länder in der NS-Zeit
Die nationalsozialistische Führung zentralisierte im Zuge der Gleichschaltung die ehemals föderale Verwaltung. Die Gebiete Württemberg, Hohenzollern und Baden, das von 1940 bis 1945 auch das besetzte Elsass umfasste, waren seit 1934 unmittelbar der Reichsregierung unterstellte Verwaltungsbezirke.
Diese drei Länder waren während der NS-Zeit zwar nicht mehr so selbständig wie zuvor. Doch blieben die praktische Umsetzung der Verwaltung, die Polizei und die Gerichte – und damit auch die Verfolgung und Repression von LSBTTIQ – in großen Teilen Aufgabe der Kommunen und Länder. So wurde die nationalsozialistische Herrschaft trotz der Gleichschaltung zu beträchtlichen Teilen auf Länderebene durchgesetzt.
Neuordnung der Länder in der Nachkriegszeit und der Bundesrepublik
Nach Ende der NS-Herrschaft gliederten die Alliierten die südwestdeutsche Region in die Länder (Süd-)Baden, Württemberg-Hohenzollern (beide französische Besatzungszone) und Württemberg-Baden (US-amerikanische Besatzungszone). Der Staat Preußen wurde 1947 aufgelöst, womit Hohenzollern den Status als eigenständiges Gebiet verlor. Daher beziehen sich Verweise auf Hohenzollern hier immer nur auf die NS-Zeit, nicht mehr auf die Bundesrepublik. 1952 wurden (Süd-)Baden, Württemberg-Hohenzollern und Württemberg-Baden auf Grundlage eines Volksentscheids zum Bundesland Baden-Württemberg zusammengefasst, das bis heute besteht. In der föderal strukturierten Bundesrepublik Deutschland erhielten die einzelnen Bundesländer ihre politische Teilsouveränität zurück.
Ein Blick über die Grenzen: Die Schweiz und Frankreich
Die regionalhistorische Forschung bietet einen Blick über nationalstaatliche Grenzen hinaus. Gerade die Grenzregion Baden stand in vielfältigem Austausch mit den Nachbarländern Schweiz und Frankreich.
Die Schweiz spielt für die Geschichte homosexueller Männer im deutschen Südwesten des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. In der Schweiz war die Rechtslage anders als in Deutschland, weil seit 1942 sexuelle Kontakte unter Männern dort legal waren. Kontakte über die Grenze hinweg ermöglichten einigen verfolgten homosexuellen Männern die illegale Einreise aus Deutschland in die Schweiz. Nach Ende des Kriegs wurde die Schweiz schnell zu einem wichtigen subkulturellen Anlaufpunkt für homosexuelle Männer aus Deutschland. Die Schweizer Homosexuellen-Organisation Der Kreis hatte auch deutsche Mitglieder und stand in Austausch mit deutschen Verbänden (in Baden-Württemberg vor allem mit der Kameradschaft die runde), und die von der Organisation herausgegebene gleichnamige Zeitschrift war auch in Baden, Württemberg und Hohenzollern verbreitet.
Frankreich ist vor allem über das Elsass eng mit der badischen Geschichte verbunden. 1940 wurde das Elsass von den Deutschen besetzt und der badischen Verwaltung unterstellt. Die Verfolgung von LSBTTIQ wurde von 1940 bis 1945 also auch auf das Elsass ausgedehnt. In den Vogesen errichtete das NS-Regime das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof, in dem auch homosexuelle Männer aus den Regionen Baden, Hohenzollern und Württemberg eingesperrt und ermordet wurden.
nr, kp
Weiterlesen
Baur, Joachim (2002): Landesgeschichten. Der deutsche Südwesten von 1790 bis heute. Das Buch zur Dauerausstellung im Haus der Geschichte Baden Württemberg. Stuttgart: Haus der Geschichte Baden-Württemberg.
Schnabel, Thomas (2000): Geschichte von Baden und Württemberg 1900-1952. Stuttgart: Kohlhammer.
Weber, Reinhold (Hg.) (2006): Baden-Württemberg. Gesellschaft, Geschichte, Politik. Stuttgart: Kohlhammer (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs, Bd. 34).