Repressionen gegen Transgender und Transsexuelle

Transgeschlechtliche Identitäten?

Transsexualität oder Transgender als eigenes Konzept und eigene Identitätskategorie gab es vor den 1970er Jahren  nicht. Menschen jedoch, die die Kleidung und soziale Rolle des „anderen“ Geschlechts einnahmen, lassen sich bis in die früheste Geschichte nachweisen. Und schon seit der Zeit des Ersten Weltkriegs sind vereinzelte Fälle von Geschlechtsumwandlungen oder dem Wunsch nach solchen Eingriffen bekannt. Magnus Hirschfeld prägte den Begriff des „Transvestismus“ als „heftigen Drang, in der Kleidung desjenigen Geschlechts zu leben, dem die Betreffenden ihrem Körperbau nach nicht angehören“. Der Wunsch nach operativen oder hormonellen Eingriffen zur Geschlechtsumwandlung galt lange Zeit als extreme Form des Transvestismus. Der Begriff wurde schnell zu einer Selbstbezeichnung, wie es zum Beispiel in der Zeitschrift „Die Welt der Transvestiten“ (hier aus dem Jahr 1929) deutlich wird, die in der Weimarer Zeit als Sonderteil der „Freundin“ erschien.

Welche Identitätsangebote gab es für transsexuelle und transgender Menschen in der südwestdeutschen Provinz? Gab es transvestitische Subkulturen oder Verbindungen mit anderen Kulturen in Baden, Württemberg und Hohenzollern? Wurden im südwestdeutschen Raum operative oder hormonelle Geschlechtsumwandlungen durchgeführt? Zur Geschichte von Transsexuellen und Transgender gibt es für den südwestdeutschen Raum bislang mehr Fragen als Antworten. Das Forschungsprojekt soll hier Grundlagen schaffen.

„Transvestitenscheine“ schützten vor Verhaftungen

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Diese Fotocollage gestaltete Toni Simon anlässlich ihres 70. Geburtstags und sandte sie als Postkarte an Freunde und Bekannte. Die Collage zeigt Toni Simon in den verschiedenen Stadien ihres Lebens, als junger Mann in ziviler und militärischer Kleidung, in ihren älteren Jahren ausschließlich als Frau. Toni Simon, die seit den 1950er Jahren in einem Wohnwagen in Kornwestheim wohnte und als Original der Stuttgarter Homosexuellenszene galt, hatte von den westdeutschen Behörden eine offizielle Erlaubnis erhalten, Frauenkleider zu tragen und ihren Namen zu ändern. In den 1920er und frühen 1930er Jahren war Simon allerdings wegen ihrer Aufmachung verschiedentlich in Konflikt mit der Staatsgewalt geraten. Über ihr Leben während der nationalsozialistischen Zeit ist nur wenig bekannt. Quelle: Schwules Museum* Berlin, Bestand die runde.

Transvestit_innen waren schon in der Kaiserzeit keine unbekannte Erscheinung. Im öffentlichen Raum lag es im Ermessensspielraum der Polizei, sie zu dulden oder ihnen repressiv zu begegnen. Es war nicht per se verboten, in Kleidung oder sozialer Rolle des jeweils „anderen“ Geschlechts aufzutreten, doch Transvestit_innen konnten aufgrund von Strafvorwürfen wie „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ oder „Grobem Unfug“ rechtlich belangt werden. Zudem standen sie grundsätzlich unter dem Verdacht, homosexuell zu sein. Die Polizei überwachte die transvestitische Subkultur, dokumentierte Namen, und es gab immer wieder Festnahmen.

Bis in die nationalsozialistische Zeit hinein und auch in den konservativen 1950er und 1960er Jahren konnten Behörden Transvestit_innen durchaus entgegenkommen. Sogenannte „Transvestitenscheine“, die auf ärztlichen Gutachten beruhten, schützen ihre Träger_innen bei Polizeikontrollen vor Festnahmen. In einigen Fällen sind auch genehmigte Änderungen des Vornamens bekannt, so zum Beispiel im Falle der Stuttgarterin Toni Simons. Mit offizieller Genehmigung änderte sie ihren vorigen Namen Anton in Toni und trat im öffentlichen Raum in Frauenkleidern auf, in denen sie auch ihren Beruf als Prüferin von Hochspannungsmasten ausübte. Inwieweit der Umgang der Behörden mit Toni Simon für Südwestdeutschland eine Ausnahme darstellte und wie die badische und württembergische Polizei in weiteren Fällen Transvestit_innen begegnete, muss ausführlich untersucht werden.

Armut und Gewalt: Leben in einer feindseligen Gesellschaft

Das duldende Entgegenkommen der Behörden brachte Transvestit_innen in Abhängigkeit vom Wohlwollen der Ärzte und der staatlichen Instanzen. Selbst wenn Behörden punktuelles Entgegenkommen zeigten, waren Transsexuelle und Transgender trotzdem oftmals massiver verbaler und körperlicher Gewalt ausgesetzt – von Bürger_innen wie auch seitens der Polizei. Dazu kamen in vielen Fällen Armut und unsichere Arbeitsverhältnisse.  Ein sichtbares Auftreten als Transvestit_in konnte schnell zum Verlust des Arbeitsplatzes führen oder es erschweren, überhaupt eine Anstellung zu finden.

Auch in der männlich-homosexuellen Subkultur war Feindseligkeit verbreitet. Transvestit_innen waren zwar bei Maskenbällen oder auf der Bühne gern gesehen, doch waren viele Gruppen und Netzwerke der homosexuellen Subkultur darauf bedacht, das Bild des besonders „männlichen“ homosexuellen Mannes in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie schlossen „feminine“ homosexuelle Männer, sogenannte „Tanten“, daher aus.

nr, kp

Weiterlesen

Herrn, Rainer (2005): Schnittmuster des Geschlechts. Transvestismus und Transsexualität in der frühen Sexualwissenschaft. Gießen: Psychosozial Verlag.

Herrn, Rainer (2013): Transvestismus in der NS-Zeit. In: Zeitschrift für Sexualforschung 26,
S. 330-371.

Stryker, Susan (2008): Transgender History. Berkeley, CA: Seal Press (Seal studies).