Treffpunkte, Lokale und andere Freiräume von LSBTTIQ in Baden und Württemberg
Bis zur Eroberung des öffentlichen Raumes war es ein weiter Weg. Erst am 30. Juni 1979 fand die erste Demonstration von, wie sie sich selbst bezeichneten, Lesben und Schwulen in Baden-Württemberg statt. Laut Presse zeigten sich zwischen 150 und 400 Teilnehmer_innen in der Stuttgarter Innenstadt als homosexuelle Frauen und Männer und forderten ihre Rechte ein bzw. präsentierten sich als Umfeld, das diese Forderung unterstützte. Ob sich transgender, transsexuelle oder intersexuelle Personen unter den Teilnehmer_innen befanden, wissen wir nicht.
Im Nationalsozialismus und in der frühen Bundesrepublik Deutschland hatten sich lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender und intersexuelle Lebenswelten in hohem Maße auf private Räume beschränkt. Gelegentlich waren auch Räume erreichbar, die nur einer eingeschränkten Öffentlichkeit zugänglich waren, beispielsweise bestimmte Lokale oder Bars. Von ihnen zu wissen und dort auch Zugang zu erhalten, setzte wohl voraus, sich selbst einer Kategorie (wie den Homosexuellen, Homophilen, Lesbierinnen etc.) zuzurechnen. Für wie viele Menschen also ein solcher Raum mit eingeschränkter Öffentlichkeit überhaupt Anziehungskraft hatte, lässt sich bisher nicht sagen. Manchen Menschen boten diese Räume jedenfalls Möglichkeiten der Entfaltung und Regeneration.
Nur in Ausnahmefällen sind solche Räume der Forschung ein Begriff, und noch seltener existieren visuelle Zeugnisse dieser Orte. Es konnte sein, dass Lokale und Treffpunkte nur einige Monate oder wenige Jahre eine Anlaufstelle waren. Die Adresse eines aufgeschlossenen Vereins, einer gut sortierten Buchhandlung, eines Jahrgangs im Schwesternwohnheim oder einer Privatwohnung als Treffpunkt stand und fiel häufig mit einzelnen Personen.
Auf den folgenden Seiten werden einzelne solcher Orte in Baden-Württemberg vorgestellt. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei folgenden Fragen: Wo haben sich lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender und queere Baden-Württemberger_innen getroffen? Wie mischte sich das Publikum, wie definierten sich diese Orte? Waren sie zugänglich für Alle? Allgemein oder nur Insider_innen bekannt? Konnte dafür geworben werden (und wenn ja: in welcher Form)? Was zeichnete die Orte aus – wie sahen die Räume aus? Gab es ein Programm? Konnten die Räume nur genutzt werden von Menschen, die sich einer Kategorie (wie z.B. im damaligen Verständnis den Homosexuellen, den Zwittern, oder Transvestiten) zuordneten? Setzte die Nutzung der Räume Geldmittel voraus – und schloss dies gegebenenfalls manche Nutzer_innen aus? Wie privat waren die Treffpunkte?
Wir fragen auch, wer die Inhaber_innen, Akteur_innen, Macher_innen waren, aus welchen Beweggründen sie sich engagierten, welche Risiken sie eingingen, welche Strategien und Schutzmaßnahmen sie nutzten. Außerdem sind wir daran interessiert zu erfahren, ob es zu Repressionen gegen Inhaber_innen oder Besucher_innen (Kontrollen, Razzien, Festnahmen …) kam. Oder ob Behörden wie Polizei, Ordnungsamt, Wirtschaftsamt bzw. Wirtschaftskontrolldienst einschränkende Auflagen erließen. Oder wie die Nachbarschaft auf Treffpunkte und Freiräume reagierte. Oder wie gefährlich es war, zu solchen Treffpunkten zu gehen – über die allgegenwärtige Gefahr von sexueller Gewalt gegen Frauen, Transsexuellen und -gender hinaus.
Falls Sie uns Hinweise auf solche Orte geben könnten, würden wir uns sehr freuen. Von einer vagen Erinnerung an ein Gespräch am Küchentisch oder im Hausflur bis hin zu eigenen Erfahrungen – wir sind an allem sehr interessiert. Bitte schreiben Sie direkt an uns (https://www.lsbttiq-bw.de/mitmachen/) oder nutzen Sie die Kommentarfunktion hier auf der Webseite.
kp, khs