1924 in Stuttgart geboren, wuchs Richard Moosdorf mit einem Bruder und drei Schwestern in Stuttgart-Feuerbach auf. Zwischen den Eltern herrschten Spannungen wegen unterschiedlicher Lebenseinstellungen. So erhielt der evangelisch getaufte Richard Moosdorf auf Intervention der Mutter 1937 die Heilige Kommunion.
1939 begann Richard Moosdorf eine Lehre als Schaufensterdekorateur im Union-Kaufhaus, dem enteigneten Kaufhaus Tietz. Nach Schließung seiner Abteilung mit Kriegsbeginn fand er eine Stelle bei Gewürz-Müller in Stuttgart-Feuerbach. Von 1942 bis 1945 war Richard Moosdorf als Soldat eingezogen und in Russland und Frankreich stationiert. Bei Kriegsende kam er im Hunsrück zunächst in amerikanische, dann in französische Kriegsgefangenschaft. Daraus ergab sich unmittelbar eine Arbeit als Zivilangestellter auf einem Weingut bei Bordeaux. 1948 zurück in Stuttgart, fand Richard Moosdorf eine Stelle bei der Post und arbeitete ab 1958 bis zu seiner Pensionierung 1982 als kaufmännischer Angestellter im Stuttgarter Verkaufsbüro der BASF. Richard Mooosdorf legte Wert auf eine gewissenhafte Arbeitsweise, die eigentlich wichtige Zeit des Tages begann für ihn jedoch nach Feierabend.
Richard Moosdorf war kein Lokalbesucher. Ihn reizten vielmehr Kontakte, die er auf öffentlichen Toiletten wie dem sogenannten „Tempele“ oder auch in Badeanstalten fand. Während seiner Zeit als Soldat hielt er sich aus Selbstschutz ganz zurück. In den Nachkriegsjahren nutzte er trotz der Gefahr von Razzien manche Möglichkeiten der Kontaktaufnahmen, die Stuttgart bot. Mitte der 1960er Jahre wurde Richard Moosdorf auf der unterirdisch gelegenen Toilette am Postplatz in flagranti beobachtet und verhaftet. Ein Kriminalbeamter in Zivil hatte sich hinter einer Toilettentür versteckt gehalten, ein zweiter Beamter war oben beim Ausgang postiert, um Fluchtversuche zu verhindern. Laut Richard Moosdorf folgte seinem Verhör auf der Polizeiwache eine Verwarnung in Form einer Geldstrafe in Höhe eines Monatslohnes. Diese bezahlte er auf der Polizeiwache in mehreren Raten in bar. Damit, so erinnert er sich, war die Sache für alle erledigt. Die Polizei hatte ihren Spielraum genutzt und keine Strafermittlung geführt.
Ein langjähriger Freund von Richard Moosdorf wurde Karl Allgöver (1909-1982). Er entstammte einer Brauerei-Familie aus der Nähe von Heilbronn und lebte mit seiner Mutter in Stuttgart-Bad Cannstatt in einer hochherrschaftlichen Wohnung. Nach Allgövers Tod erhielt Richard Moosdorf als Alleinerbe auch dessen Möbel. Sie bilden bis heute das Inventar seiner Wohnung, in der sein Faible für Inneneinrichtung allerorten sichtbar ist. Über Karl Allgöver kam Richard Moosdorf 1953 zur Schweizer Homosexuellen-Organisation Der Kreis und besuchte dessen Herbst- und Frühlingsfeste in Zürich. Er wurde Abonnent der Zeitschrift Der Kreis – Le Cercle – The Circle deren monatlichen Hefte er sehnlich erwartete. Über Eduard Krumm (1928-2008) kam er auch zur Kameradschaft die runde aus Reutlingen. Die einzige baden-württembergische Gruppe homophiler Männer der Nachkriegszeit war ausgesprochen familiär organisiert und bestand von 1950 bis 1969. Richard Moosdorf nahm zwar teil an deren Vatertagsausflügen auf die Schwäbische Alb oder ins Elsaß und besuchte auch die Zusammenkünfte der Gruppe im Lokal Katharinen-Eck in Stuttgart-Bad Cannstatt, das organisierte Gruppenleben war jedoch nicht seine Welt.
2001 stellte sich Richard Moosdorf für ein Interview in Jochen Hicks preisgekröntem Dokumentarfilm Ich kenn´ keinen. Allein unter Heteros zur Verfügung. Nach der Premiere des Films 2002 auf der Berlinale meldete sich ein 20 Jahre jüngerer Mann bei ihm: Er begehre ältere Männer, sein langjähriger Freund sei gerade gestorben. Ihm gefiele das selbstbewusste Coming-out von Moosdorf. Seither ist dieser Mann Richard Moosdorfs Lebensgefährte.
khs